Eporedos - Historische Reitkunst

Historik

Wildpferde, Chauvet-Höhle, ca. 30.000 v. Chr.
Wildpferde, Chauvet-Höhle, ca. 30.000 v. Chr.

Vorgeschichte

Eiszeitliche Höhlenmalereien – die ältesten ca. 30.000 Jahre alt – zeigen neben anderen Tierarten auch viele Wildpferde.

Wir wissen nicht, wann der Mensch den ersten Schritt zur Domestizierung des Pferdes machte; für die Menschheit war er jedenfalls von größter Bedeutung. Ohne diesen wäre die Weltgeschichte sicherlich ganz anders verlaufen.

Alle historischen Entwicklungen, die unsere Kultur bis heute prägen, sind durch die Zähmung des Pferdes beeinflusst.

Die Reitkunst: Eine Jahrtausende alte Tradition

König Philip IV von Spanien (Diego Velasquez, 1635)
König Philip IV von Spanien (Diego Velasquez, 1635)

 

Keltiberische Münze
Keltiberische Münze
 

Durch die Jahrtausende sehen wir immer wieder Pferde eines bestimmten Typs in ähnlich stolzen Haltungen dargestellt: in höchster Versammlung, kampfbereit oder springend.

Heroisch idealisierte Abbildungen von Pferden und ihren Reitern auf antiken Münzen, Streitrosse auf mittelalterlichen Buchmalereien und Renaissancegemälden lassen deutlich immer wieder die gleichen Ausbildungsideale erkennen, die genau dem entsprechen, was heute als die Hohe Schule der Reitkunst bezeichnet wird.

Der Kampf zu Pferd erforderte eine präzise und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Roß und Reiter und auch ein speziell hierfür geschultes, selbstbewußtes Pferd, das oftmals in Eigeninitiative agieren musste. Ein solches Pferd musste – auf feinste Zeichen des Reiters reagierend oder sogar selbstständig agierend – Kampfmanöver wie beispielsweise laterales Ausweichen und blitzschnelle Wendungen auf engstem Raum souverän ausführen können. Das Pferd übernahm gewissermaßen die Beinarbeit des Fechters hoch zu Roß.

Der Reiter musste sich voll und ganz auf den Kampf konzentrieren können. Mindestens eine Hand – bei Verwendung von Schilden oftmals beide Hände – benötigte er zum Führen der Waffen. Zügelunabhängiges Reiten war hier erforderlich. Dieses Ausbildungsniveau konnte erst nach vielen Jahren der Schulung erreicht werden. So ein Streitroß, dem man sein Leben anvertraute, wurde entsprechend hoch geschätzt und im Gegensatz zu anderen Reitpferden in historischen Schriften auch namentlich erwähnt.

Bis in die heutige Zeit präsentieren sich viele Reiter am liebsten auf stolz steigendem Roß – genau so wie es schon Xenophon vor zweieinhalb Jahrtausenden als das Ideal beschrieb:

„Auf solchen Pferden werden selbst Götter und Heroen reitend gemalt, und die Männer, welche gut mit ihnen umzugehen wissen, sehen prächtig aus.“

Björn Kiefer auf Fynn
Björn Kiefer auf Fynn

Die Antike

Alexandersarkophag, ca. 325 v. Chr.
Alexandersarkophag, ca. 325 v. Chr.

Keltiberische Münze
Keltiberische Münze

Björn Kiefer auf Incognito, Römische Villa Borg
Björn Kiefer auf Incognito, Römische Villa Borg

Bereits in der Antike gab es in Europa eine ausgefeilte und hoch entwickelte Reitkunst.

Griechische und römische Autoren wie Xenophon, Julius Caesar, Flavius Arrian und Maurikios berichten uns – als ehemalige Kavalleriekommandanten – ausführlich und sachkundig hierüber. Durch sie haben wir detaillierte Kenntnisse auch über die Reitkunst jener Völker, welche die Schriftsprache nicht oder kaum nutzten, wie beispielsweise die Kelten, Germanen, Skythen und Keltiberer. Die Reiter dieser Völker dienten Griechen und Römern oftmals als Vorbilder und professionelle Spezialisten für Pferdeausbildung und Kavallerietaktik.

Die ältesten bekannten Schriften über die Reitkunst sind das etwa 369 v. Chr. entstandene Peri Hippikes (Über die Reitkunst) und das Hipparchikos (der Reiteroberst) des Atheners Xenophon, der somit als der Begründer der Hippologie gilt. Xenophon gibt in seinen Werken Anleitungen für kavalleristische Übungen und Taktiken, aber auch für eine kunstvolle reiterliche Selbstinszenierung bei Paraden und repräsentativen Anlässen. Flavius Arrian informiert uns in seinem Reitertraktat aus dem Jahre 136 n. Chr. über den genauen Ablauf kavalleristischer Übungen und Taktiken, die ein römischer Reiter der Kaiserzeit beherrschen musste. Er informiert uns auch darüber, daß die Bezeichnungen für diese Übungen alle aus der keltischen und keltiberischen Sprache stammen, weil die Römer diese Reiterkampftechniken von den Kelten und Keltiberern übernommen hatten.

Dies ist eines der vielen Beispiele für den regen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch, der allgemein in dieser Epoche stattfand, und der auch für eine schnelle europaweite Verbreitung der Reitkunst und der hierfür speziell gezüchteten Pferderassen sorgte.

Archäologische Funde und kunsthistorische Erkenntnisse ergänzen und bestätigen das historisch überlieferte Wissen. An den von antiken Künstlern in Stein gehauenen Bildnissen von Pferden und Reitern, die sich bis in unsere Zeit erhalten haben, lässt sich heute noch das hohe Niveau der antiken Reitkunst erkennen.

 

Das Mittelalter

Das Mittelalter umfasst eine lange Zeitspanne, in der sich über die Jahrhunderte vieles änderte. Was die Reitkunst betraf, blieben jedoch einige grundlegende Dinge nahezu unverändert:

Für den Nahkampf hoch zu Roß brauchte man – wie in der Antike – ein wendiges und vor allem gut ausgebildetes Pferd, denn es wurden nach wie vor die im Grunde gleichen Waffen verwendet: Lanze und Schwert in wechselnden Ausführungen, oft auch einen Schild in der linken Hand.

Das berühmte Streitroß des Mittelalters, der Destrier, war durch seine spezielle Ausbildung auch zu schwierigsten Übungen in höchster Versammlung fähig. Der Ritter auf Aventure oder auf dem Feldzug bevorzugte jedoch oft den schnelleren Courseur, einen edleren und leichteren Pferdetyp, der als ebenso wertvoll aber als weniger kostspielig in der Unterhaltung und zudem als ausdauernder bei harten Kämpfen galt. Letztendlich blieben jedoch die Möglichkeiten, die ein Reiter auf einem gut ausgebildeten Pferd im Nahkampf hatte, im Grunde genommen über die Jahrhunderte gleich.

Die Schlacht von San Romano, Paolo Uccello, 1438
Die Schlacht von San Romano, Paolo Uccello, 1438

Die Milites genannten fränkischen Panzerreiter des frühen Mittelalters, Vorläufer der hochmittelalterlichen Ritter, entstanden aus einer schon lange bestehenden Tradition. Dies begann mit der Übernahme der Kataphrakten und Clibanarier genannten schweren Panzerreiterei der Sarmaten und der Parther durch die Römer.

Die in der Antike bewährte Art der Pferdeausbildung war also nie vergessen, wenn auch kaum eine mittelalterliche Schrift über die Reitkunst überliefert wurde. Eine berühmte Ausnahme hiervon ist das 1434 von Dom Duarte, dem König von Portugal, geschriebenene „Livro da Ensinança de Bem Cavalgar Toda Sela“ („Gut reiten lernen in allen Sätteln“).

Normannische Ritter, 11. Jhd., Teppich von Bayeux
Normannische Ritter, 11. Jhd., Teppich von Bayeux

Ritter, Tod und Teufel, Albrecht Dürer, 1513
Ritter, Tod und Teufel, Albrecht Dürer, 1513
 

Ansonsten schrieben jene, die über die Sachkenntnis und das Können verfügten, die Ritter, nicht über etwas für sie so Selbstverständliches wie das Reiten. Der Klerus, allgemein für Schreibarbeit zuständig, widmete sich meist anderen Themen.

Vereinzelt findet man jedoch interessante und verblüffende Hinweise über die mittelalterliche Reitkunst in ganz anderen Zusammenhängen. Der Normanne William Fitzstephen berichtet im Jahre 1180 über einen Pferdemarkt bei London:

„... wertvolle Streitrösser von feiner Gestalt und edler Statur, mit zuckenden Ohren, steilem Hals und feisten Keulen. Bei ihrem Gang achten die Käufer zuerst auf den sanfteren Schritt, dann auf den schnelleren Galopp mit sozusagen entgegengesetztem Takt; die Vorderbeine werden etwa gleichzeitig gehoben und aufgesetzt, ähnlich die Hinterbeine.“

Beschrieben wird hier eindeutig kein schweres oder gar plumpes Pferd, sondern ein temperamentvoller Pferdetyp, der im Terre-à-Terre, einem schnellen Zweitaktgalopp, ansprengen kann.

Ein weiteres Beispiel für Hinweise auf anspruchsvolle Reitkunst in Schriften des Mittelalters findet sich im Anfang des 13. Jahrhunderts entstandenen Parzival des Wolfram von Eschenbach:

Bei der Beschreibung eines Massenturniers werden unter anderem Flankenangriffe ze traviers (im Travers) erwähnt. Zentmouten, ein anderes erwähntes Manöver, bestand aus einer plötzlichen Kehrtwendung des Pferdes und einem überraschenden Angriff gegen einen Verfolger.

Beschrieben wird hier eine Übung mit Parade, Hinterhandwendung und Ansprengen in die andere Richtung, die Xenophon schon im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnte. Flavius Arrian beschrieb im Jahre 136 n. Chr ebenfalls das gleiche, von ihm Tolutegon genannte Abwehrmanöver, wobei Arrian zudem detailliert die genaue Handhabung von Lanze und Schild in dieser Situation beschreibt. In der Renaissance wurde diese Übung Repellon genannt. Noch in der heutigen Zeit wird dieses Manöver von spanischen Vaquera-Pferden beherrscht.

Zu den interessantesten künstlerischen Darstellungen, die uns die Reitkunst des Mittelalters zeigen, gehören unter anderem der Teppich von Bayeux, die Manessische Liederhandschrift und die Gemälde von Paolo Uccello.

Albrecht Dürer zeigt uns mit seinen besonders realistischen und von großer Sachkenntnis zeugenden Darstellungen von Pferden und Reitern den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance.

Fechtende Reiter, Albrecht Dürer, 1489
Björn Kiefer auf Lugh und Fechtende Reiter, Albrecht Dürer, 1489

Renaissance und Barock

Conde Duque de Olivares zu Pferde, Diego Velázquez, 1634
Conde Duque de Olivares zu Pferde,
Diego Velázquez, 1634

Conde Duque de Olivares zu Pferde, Diego Velázquez, 1634
Björn Kiefer auf Fynn

Die Renaissance war einerseits eine Zeit tiefgreifender technischer und gesellschaftlicher Veränderungen, andererseits aber auch eine Zeit der verstärkten Rückbesinnung auf antike Kunst und Wissenschaft.

Die Verbreitung der schon im späten Mittelalter erfundenen Buchdruckerkunst war nicht nur für wache Geister der Renaissance, sondern auch für uns von großer Bedeutung, da schriftliche Berichte über die verschiedensten Dinge, so auch das überlieferte Wissen der Antike zum ersten mal eine weite Verbreitung erfuhr.

Die beeindruckenden Gemälde und Statuen der Renaissance erfreuen uns durch ihre innewohnende Ästhetik und geben dem aufmerksamen Betrachter wertvolle Hinweise auf die Reitkunst.

Der Adel, dem die reiterliche und ritterliche Selbstinszenierung – den gravierenden gesellschaftlichen und technischen Veränderungen zum Trotz – von allergrößter Wichtigkeit war, pilgerte nun aus ganz Europa zu den berühmten Reitmeistern in Neapel oder Paris, um sich in der Reitkunst auf höchstem Niveau ausbilden zu lassen. Einige von ihnen hinterließen uns ausführliche Anleitungen zur Reitkunst, wobei der Schwerpunkt neben prunkvoll inszenierten Paraden und Carousells immer noch das militärische Kampfreiten und die Fähigkeit zu ernsten Reitergefechten war.

Neapel – eine immer wieder bedrohte spanische Enklave mit dort dauerhaft stationierter spanischer Elitereiterei, beeinflusste maßgeblich die Entstehung der Italienischen Schule der Reitkunst und brachte die ersten privaten Reitinstitute Europas und Reitmeister wie Grisone und Pignatelli hervor. Diese wiederum prägten sowohl die deutsche als auch die englische und die französische Reitkunst der Renaissance und auch des Barock.

Zu den berühmtesten Autoren, die über jene inzwischen gesamteuropäisch gewordene Reitkultur berichteten, zählen unter anderen Georg Engelhard Löhneysen, William Cavendish Herzog von Newcastle, Antoine de Pluvinel, und Francois Robichon de la Guerinière, die durch ihre Werke heute noch – im Gegensatz zu antiken und mittelalterlichen Autoren – einem breiteren Publikum bekannt sind.

Es überrascht daher nicht, wenn der Beginn aller Reitkunst oftmals in der Renaissance oder im Barock vermutet wird.

 

Neuzeit

In der Neuzeit finden wir eine Fülle unterschiedlichster Ideen zum Reiten. Diese scheinbare Vielfalt täuscht darüber hinweg, dass bis Anfang des letzten Jahrhunderts noch eine ungebrochene Linie der Tradition in der Reitkunst bestand. Viele vermeintliche Neuerungen oder dem heutigen Dressurreiter exotisch erscheinende Reitweisen gehen tatsächlich auf diese Wurzeln zurück.

Beispielsweise haben sich wichtige Bestandteile der alteuropäischen Reitkultur, die im modernen Reitsport längst in Vergessenheit geraten sind, in der Anfang des letzten Jahrhunderts noch gebräuchlichen hispano-californischen Reitweise bis heute erhalten.

So war auch die einhändige Zügelführung für ausgebildete Pferde, die vielen Reitern heute als ungewöhnlich erscheint, bis in die 1930er Jahre auch hierzulande noch der übliche Standard. Oskar Maria Stensbeck, der Autor des 1930 erschienenen Buches „Reiten – Eine Anleitung, es zu lernen und selbst ein Pferd bis zur Vollendung auszubilden“ bemängelte:

„Sehr viel reitet man heute mit geteilten Zügeln, d.h. in jeder Hand einen Kandaren- und einen Trensenzügel, doch braucht man hierzu weder ein gut gerittenes Pferd, noch selbst ein guter Reiter zu sein.“

Stensbeck war Ausbilder des damals 17-jährigen Pferdes Gimpel, der 1936 mit der deutschen Dressurequipe bei der Olympiade in Berlin die Goldmedaille errang.